Seit ein paar Tagen plante ich bereits diesen Blog-Beitrag.
Zwei besondere Momente sind nun der Auslöser, die Worte wirklich niederzuschreiben.
Meldung 1: XML ist ein Vierteljahrhundert alt.
Meldung 2: Tom Scott hat einen Napster-Moment bei der Nutzung von künstlicher Intelligenz.
Also, worum geht es?
Ursprünglicher Anlass für den Inhalt dieses Beitrags waren Beschreibungen aus dem Buch Handbuch moderner Softwarearchitektur. Es macht deutlich, wie alt – oder eher nicht alt – gewisse Vorgehensweisen sind, die ich in meiner IT-Karriere als selbstverständlich angesehen habe. Mehr als das. Als so sinnvoll, dass ich mich stets wunderte, warum das nicht schon immer so gemacht wurde und sowieso nicht von allen.
Im Informatikunterricht Mitte und Ende der 90er Jahre habe ich Dinge gelernt wie CAD oder OOP.
Computerunterstütztes Konstruieren (CAD) bedeutet, am Rechner Schritte zur Erschaffung einer Zeichnung auszuführen. Darüber hinaus lassen sich die einzelnen Schritte noch verändern: Strichstärke, Füllung, Größe, usw. Außerdem lassen sich verschiedene Versionen speichern, Schritte rückgängig machen, kombinieren, drucken, vergrößern. Warum sollte nicht jeder so arbeiten wollen?
Objektorientierte Programmierung (OOP) ist eine bestimmte Art, Dinge der wirklichen Welt als Objekte im Computer zu modellieren und damit zu programmieren. Es war eine total zugängliche Art, Probleme zu abstrahieren und den Spaghetti-Code aus BASIC-Zeiten hinter sich zu lassen. Natürlich schien es damals die einzig sinnvolle Art, Programme zu schreiben. Warum sollte nicht jeder so programmieren wollen?
Ich erinnere mich an reihenweise Erklärungen, warum XML so toll ist und das nun alle mitmachen wollen. Eine einfache, übergreifende, selbsterklärende Beschreibung für alle Informationen dieser Welt. Menschenlesbar, maschinenlesbar, prüfbar. Eigentlich keine große Sache, hätte schon viel früher jemand drauf kommen können, also wieso jetzt der große Bohei? Warum sollte nicht jeder so Daten austauschen wollen?
Später wurden Konzepte wie testgetriebene Entwicklung in mein Blickfeld gerückt. Nie wieder Fehler in der Programmierung! Zuerst wird ein weiterer Test für die Testsammlung geschrieben, der die geplante Funktion prüfen kann. Dann wird die Funktion umgesetzt und zusammen mit all dem restlichen Code vollständig und automatisch geprüft. Es kann gar nicht schiefgehen. Warum sollte nicht jeder so entwickeln wollen?
Das Buch
Mit dem Lesen des oben genannten Buches wurde mir aber erst heute klar, dass viele dieser Themen in jener Zeit recht frisch waren. Zuvor dachte ich, ich hätte keinen Zugang zu Wissensbereichen gehabt, hätte mit den richtigen Fragen all das Wissen viel früher erlangen können. Richtiger erscheint mir jetzt, dass (stellvertretend an den Themen erklärt) viel Wissen gerade erst entstand, Ideen geäußert wurden, aber die Wirkung auf die Zukunft noch nicht abzusehen war. Deshalb nun auch Antworten auf die vielen Warum?: Weil nicht jede Person das aufgebaute Wissen sofort verwirft, um es gegen ein bis dato unbekanntes Wissensfeld einzutauschen. Weil nicht jeder Hype lange anhält oder genug Vorteile bringt, um sich flächendeckend durchzusetzen. Weil nicht jede Veränderung eine Verbesserung ist. Weil in der IT alles in Zyklen wiederholt wird, Zentralisierung wechselt sich regelmäßig mit Dezentralisierung ab.
In Tom Scotts Video spiegelt sich die Unsicherheit in der Frage wider, wie massiv, schnell und umfassend ein Zeitenwechsel durch bestimmte Textgeneratoren bevorsteht. Vielleicht schaffen es diese Systeme, die sogenannten (Sprach-)Assistenzsysteme wirklich zu helfenden und unterstützenden Systemen zu machen? Vielleicht werden Routinetätigkeiten an diese Systeme übertragbar, sodass mehr Zeit für andere Aufgaben frei wird?
Die Zukunft
Aus den Erfahrungen von 25 Jahren XML lässt sich genau das übertragen, was Tom Scott an Napster festmacht: Manche Themen dominieren den Moment und verschwinden dann im Hintergrund. Aber sie bereiten den Weg für noch viel tiefgreifendere Veränderungen.
Im Rückblick lassen sich Entwicklungen leichter beurteilen, entscheidende Momente leichter benennen. Für uns, die wir genau jetzt (er-)leben, ist die Zukunft noch vage. Nur weggehen werden die Textgeneratoren nicht.
In diesem Sinne bin ich gespannt, was die nächsten 35 Jahre IT bringen. Und will weiterhin gestaltend tätig dabei sein.